Alma Leschivo                        Der Erinnerung Macht

1848 -  ?

Wer so, wie du, viel tiefe Lieb’ gefunden,

Der darf sich nimmer einsam, elend fühlen;

Wenn auch des Abschieds Stürme ihn durchwühlen,

Das Weh der Trennung ihm schlug harte Wunden.

 

Dein Lächeln unter Thränen mußt bekunden,

Sah ich’s auch scheu nur deinen Mund umspielen,

Daß du den Balsam kennst, den milden, kühlen,

Den man Erinn’rung nennt; sie läßt gesunden.

 

Fühlst du, wie sie uns stimmt fest zu umfassen

Den Schatz, den uns Vergangenheit gelassen?

Wie die Erinn’rung scheucht das düstre Denken –

 

Wie sie das Trennungsweh uns lehrt versenken,

Und doch uns heimlich zwingt, es treu zu hegen –

Da dieses Weh sich klärt zu reichstem Segen.

 

 

 

 

 

Alma Leschivo                        Sappho

1848 -  ?

Gedenk’ ich deines Schicksals, fühl’ ich Grauen

Und Angst vor jener Macht, die du besungen!

Und die dich, Stolze, endlich doch bezwungen,

Zerschellt zu ihren Füßen durfte schauen!

 

Dein Liebeslied half einen Thron dir bauen

Von Ruhm und Ehr’; dein Sang hat ihn errungen.

Doch als dem eignen Herzen er erklungen –

Hatt’ es dich nicht gewarnt, ihm zu mißtrauen? –

 

Wohl darf die Muse mit der Liebe kosen.

Weh dir, daß du dies einmal hast vergessen!

Ist nicht geweiht dem Bund der Liebelosen,

 

Wer Götterkraft als Erdenweib besessen?

Du gabst der Liebe dich, - und lernt’st dich hassen;

Du trugst es nicht, daß dich dein Stolz verlassen!